In Marokko herrscht ein anderer Rhythmus der Zeit. In Essaouira jedoch ist es noch einmal extremer.
Wacht man um 7 Uhr auf und schaut der Sonne beim Aufgehen zu hört man lediglich das laute Meckern der Möwen auf der Suche nach Futter. Spatzen hüpfen frohen Mutes über die Dächer und kurz meint man spärliches Stimmengewirr zu vernehmen. Aber die Stadt schläft noch.
Ich schlendere langsam durch die kleinen Gassen Essaouiras. Keiner spricht einen an; die meisten Geschäfte sind noch geschlossen. Die Männer sitzen verschlafen auf ihren Sitzkonstruktionen vor ihren Läden oder am Straßenrand, ohne einen eines Blickes zu würdigen. Ein angenehmes, ungewohntes Gefühl. Ich liebe das wohlige Treiben in den Nachmittags-, und frühen Abendstunden. Aber das ständige Angesprochenwerden raubt teilweise Zeit und Kraft, auch wenn manche durchaus kreative Sprüche auf Lager haben, die einen durchaus mal zum Schmunzeln bringen.
Ich bevorzuge es am Morgen durch die Stadt zu schlendern und im Café einen ersten Tee zu trinken und den Anfang des Tages zu beobachten. Noch unter dem Mantel der Stille gebettet wacht die Stadt langsam auf und erst gegen späten Mittag lässt sich eine gewissen Geschäftigkeit verzeichnen.
Vereinzelt schlurfen Männer über den Platz auf dem Weg ihr Geschäft zu öffnen. Ein weiteres Phänomenen und durchaus ein Stück Lebensqualität: geregelte Öffnungszeiten existieren nicht. Man öffnet wenn man wach wird und gefrühstückt hat. Wacht man spät auf; schließt man auch später,zwischendurch besucht man in der Nähe wohnende Freunde, trinkt einen Kaffee oder macht einfach eine Siesta. Lässt man dann abends den Laden länger auf kommt man am Ende doch auf seine Stunden und vorallem auf seine Kunden. (Dies gilt natürlich nicht für die öffentlichen Einrichtungen, die auch hier in Marokko feste Öffnungszeiten haben.)
Fernab von geregelten Mindestlohn, festen Arbeitszeiten, Urlaubsanträgen und gesetzlich festgelegten Pausen ist Marokko vielleicht ein Arbeitsparadies. Nicht um das große Geld zu machen, sondern um der Lebensqualität willen. Natürlich sind viele Menschen hier in Marokko sehr arm und die Arbeitslosigkeit ist hoch; doch mit irgendwas halten sich die meisten doch über Wasser.
Hat man ein Geschäft und somit eine Arbeit verliert man trotzdem seine Freiheiten nicht. Man kommt und geht wann man will und kann seine Arbeitszeit individuell an die Freizeit anpassen.
Vielleicht auch ein Geheimnis des Glückes der Menschen hier. Zeit ist ein kostbares Gut, von der westlichen Gesellschaft meiner Meinung nach unterschätzt. „Zeit ist Geld“ ist das Motto in Deutschland.
In Marokko nimmt die Zeit eine paradoxe Rolle ein.Scheinbar unwichtig spielt sie keine Rolle. Selten sieht man Menschen mit Uhren, man trifft sich zufällig – inchallah- oder eben nicht. Fragt man nach der Uhrzeit erntet man oft Unverständnis oder gar Gelächter; beliebte Gegenfrage:“ Welche Uhrzeit hättest du denn gerne?“.
Doch diese scheinbare Nebensächlichkeit macht die Paradoxität der Zeit hier aus. Ohne die schiere Unendlichkeit der Zeit würde die Gesellschaft in dieser Form nicht existieren. Sie ist vielleicht eine der wichtigsten Komponenten, die das Leben in Marokko ausmacht. Sie ist überall im Überfluss vorhanden und allgegenwärtig und doch vergisst man sie nach spätestens vier Tagen in Marokko völlig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen