Freitag, 15. April 2011

Wartezeit


Warten ist in Deutschland sehr unbeliebt. Land und Leute für Pünktlichkeit bekannt; mit Ausnahme der Deutschen Bahn mag der Deutsche einwenden. Fünf Minuten warten gestaltet sich in Deutschland wie eine kleine Ewigkeit, darausfolgt, dass die Deutsche Bahn der Unpünktlichkeit wegen verschrien ist.

In Marokko spielt warten eine zentrale Rolle in der Gestaltung des Tagesablaufs. Da das Warten eine gewisse Ungewissheit mit sich bringt bleiben Abfahrt und Ankunft mitunter unkalkulierbare Einheiten.
Auch jetzt mal wieder eine ungewohnt skurrile Situation. Wartend sitze ich im Café Imessouane; vor mir ein halbvolles Glas Café au lait. Ich warte auf eine Mitfahrgelegenheit um zurück nach Essaouira zu kommen.
Links der Blick auf das Meer. Am Horizont dunkelblau; in der Bucht türkisfarben. Vor dem Abgrund der Klippe, die man hinabsteigen muss, um an den Strand zu gelangen steht ein kleiner Surfshop. Das dunkelbraune Häuschen mit den hellen Dach und dem liebevoll aufgemalten Logo „ Momo Surf Shop“ rundet das Gesamtbild ab. Ein Anblick der an Hawaii erinnert. 

 

Dies alles kann man stundenlang beobachten während man wartend seinen Café au lait schlürft. Man weiss nicht wie lange man warten muss. In Deutschland setzt bei mir nach fünf Minuten warten eine gewisse Unruhe ein. Die Gedanken drehen sich ums Zuspätkommen und um die verlorene Zeit. Im Kopf wird der Zeit- und Tagesplan umgestellt um nichts zu verpassen und keine Zeit zu verlieren. Am Anfang ging es mir in Marokko genauso, aber das stellte sich schnell ein, da ich früh erkannte dass das deutsches Handeln in Bezug auf das Warten in Marokko extrem sinnlos ist.

Also tut man es den Marokkanern gleich und sitzt da und wartet. Dann endlich bietet sich eine Mitfahrgelegenheit an und man wird bis zur nächsten Hauptstraße mitgenommen. Dort wartet man wieder. Auf den Bus oder auf ein Taxi. Man weiss es nicht so genau. Man wartet halt einfach. Ohne zu wissen wann man weiterkommt, ohne zu wissen wann man ankommt; manchmal scheint es mir als schienen die Leute sogar vergessen zu haben worauf sie überhaupt warten.
Aber dann wird man doch wieder mitgenommen mal schneller, mal langsamer. Bis zur nächsten Stadt. Um dort wieder zu warten. Bis das Taxi voll besetzt ist oder bis der Bus kommt.
So kann für eine kurze Strecke auch mal ein ganzer Tag draufgehen. Von wegen „Zeit ist Geld“!

In Marokko kann man sie überall sehen, die Wartenden. Allerdings scheint es so als warten viele ohne jegliches Ziel vielleicht nur um des Wartens wegen in der Hoffnung einen meditativen Zustand zu erreichen. Diesen Anschein habe ich zumindest manchmal wenn man mit dem Bus Stellen passiert, wo weder Häuser noch die kleinsten Trampelpfade auszumachen sind. Trotzdem sitzen dort einsam Männer und warten. Worauf auch immer. Warum auch immer. Die Frage wo sie wohl überhaupt herkommen stelle ich mir mittlerweile gar nicht mehr.

Man entwickelt also eine gewisse Geduld und lernt das Warten auch durchaus zu nutzen. Vielleicht um seine Gedanken schweifen zu lassen, um die vorbeiziehenden Menschen zu begutachten oder einfach nur Stille und Natur zu geniessen.

Den ungeduldigen Deutschen setze man also zwei Wochen in der Natur Marokkos aus und auch er wird vielleicht eine Geduld entwickeln und merken, völlig undeutsch, dass warten durchaus Spass machen kann.

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